Universität GH Essen
Seminar:
Symbolismus, SS 2000
Inhaltsverzeichnis
2. Die Kunst Munchs vor dem kunst- und
kulturgeschichtlichen Hintergrund in Norwegen und Deutschland
3. Munchs symbolistische Kunstauffassung
4. Betrachtung einzelner Werke
Da das Werk Munchs sehr
stark von Ereignissen in seiner Biographie geprägt ist, soll sein bewegender
Lebenslauf einführend dargestellt werden.
Edvard Munch wurde 1863
geboren und starb 1944 in Ekely. Er wurde geboren als zweites von fünf Kindern.
Sein Vater war Arzt, so dass die Familie in relativ guten Verhältnissen lebte
als sie 1864 nach Kristiania (heutiges Oslo) zog. Munchs Kindheit und Jugend
war geprägt von Krankheit und Tod in der Familie und von der strengen
Religiosität des Vaters. Munch selbst beschrieb sich folgendermaßen:
Eine jungverstorbene Mutter vererbte mir eine Neigung zur
Schwindsucht; ein übernervöser Vater, als Abkömmling eines alten Geschlechts
von einer geradezu wahnsinnigen pietistischen Frömmigkeit, vererbte mir den
Keim der Geisteskrankheit.
Der Tod der Mutter 1868
war ein einschneidendes Erlebnis für den damals Fünfjährigen. Danach empfand
Munch seinen Vater als extrem religiös und streng und entwickelte eine starke
Bindung zu seiner Schwester Sophie. Diese stirbt jedoch 1877 an Tuberkulose,
worauf Munch starke Schuldgefühle entwickelt und seinen Glauben an Gott
verliert.
1880 beschließt Munch
Maler zu werden. Er tritt 1881 in die königliche Schule für Kunst und
Gestaltung in Kristiania. 1882 arbeitet er unter Christian Krohg im
naturalistischen Stil. 1885 bekommt Munch sein 1. Stipendium nach Paris.
Außerdem beginnt er seine erste Liebesbeziehung mit Milly Thaulow. 1886
entsteht „Das kranke Kind“, womit er das erste Bild im Sinne seiner „Kunst der
Erinnerung“ gemalt hatte. Das Bild wurde auf der Herbstaustellung in Kristiania
jedoch ein absoluter Misserfolg. 1887 trennte sich Milly wegen eines anderen
Mannes von Munch, der daraufhin in Todesgedanken, Halluzinationen und
Melancholie verfällt. Erotik und Eifersucht tauchen seitdem vermehrt als Motive
in seinen Bildern auf.
In
der Zeit von 1889-1892 entwickelte Munch eine neue Ästhetik und formulierte
eine eigene Kunstauffassung. Die Phase beginnt 1889 mit der Heirat von Aase
Carlsen, von der Munch sehr betrübt war, da er unglücklich in Aase verliebt
war. Im Oktober unternahm er eine Reise nach Paris, wo er sich mit dem Dichter
Emanuel Goldstein anfreundete. Kurz nachdem Munch in Paris angekommen war,
starb sein Vater. Der Tod des Vaters wurde zum Anlass für ein neues Weltbild
und Kunstverständnis (siehe 3). 1890 bekam Munch ein 2. Stipendium nach Paris,
das er jedoch nicht richtig wahrnehmen konnte, da er an rheumatischem Fieber
litt. Als er 1891 nach Kristiania zurückkehrte, wird er erneut in eine Krise
geworfen: Er leidet unter Halluzinationen, weil seine erste Liebe Milly Thaulow
zum zweiten Mal heiratet. Außerdem erlebt er das aufwühlende Dreiecksverhältnis
zwischen Oda Krohg, Christian Krohg und Jappe Nilsen mit,. Künstlerisch sondert
er sich von den anderen norwegischen Künstlern ab. Mit seinen Bildern erntet er
in Norwegen durchweg schlechte Kritik.
Mit
der Reise nach Berlin 1892 beginnt für Munch (bis 1899) eine Phase der
künstlerischen Höhepunkte und Erfolge. In dieser Zeit entsteht ein
beträchtlicher Teil seiner symbolistischen Werke. Die Phase beginnt 1892 mit
einer Ausstellung im Verein Berliner Künstler, die vorzeitig abgebrochen wird,
da einige Mitglieder des Vereins von Munchs Bildern völlig schockiert sind. Der
Fall ging an die Öffentlichkeit, wodurch Munch urplötzlich einen hohen
Bekanntheitsgrad in Deutschland erlangte.
In
Berlin verkehrte Munch regelmäßig im Bohemienkreis „Zum schwarzen Ferkel“, wo
er sich u.a. mit August Strindberg, Stanislaw Przybyszewki und Dagny Juell
anfreundet.
In
seiner Berliner Zeit war Munch äußerst produktiv. 1893 entstand u.a. sein berühmtes
Werk „Der Schrei“. Munch erlangte allmählich Ansehen, hatte Ausstellungen in
Dresden und München. Ab 1894 beschäftigte er sich mit verschiedenen
Drucktechniken und setzte seine Gemälde in Druckgraphiken um. 1895 reiste Munch
nach Paris, wo er in den folgenden Jahren im „Salon des Independents“ vertreten
war.
1898
begann er eine turbulente Affaire mit Tulla Larssen. Nach dem Versuch die
Beziehung zu beenden, wurde Munch immer wieder von Tulla verfolgt (bis 1902),
was ihm psychisch sehr zu schaffen machte.
1902
hatte Munch eine seiner erfolgreichsten Ausstellungen in der Berliner
Sezession, wo er seinen „Lebensfries“ mit 22 Bildern ausstellte (später auch in
Leipzig, Kristiania und Prag). Im gleichen Jahr schoß Munch sich beim Versuch
die Beziehung zu Tulla endgültig zu beenden, in die Hand. In den folgenden
Jahren wurde seine Nervenkrise immer schlimmer, Alkoholismus kam hinzu. Während
seinen Kuraufenthalten, bei denen er seine psychischen Leiden zu kurieren
versuchte, erhielt die Malerei eine therapeutische Funktion für ihn.
Trotz
seiner immer wieder eintretenden Krisen und Krankheiten wurde Munch 80 Jahre
alt und hinterlässt ein beachtliches künstlerisches Werk. In Deutschland wurde
er als Wegbereiter der modernen Kunst angesehen. Noch zu Lebzeiten wurde zur
Leitfigur der Brücke-Künstler und ein Vorbild der Expressionisten.
Als Munch beschloss Maler zu
werden (um 1880) kämpfte Norwegen gerade um seine Unabhängigkeit. Außerdem
hatte wie in allen europäischen Staaten die Industrialisierung Einzug gehalten.
Norwegen befand sich in einem gesellschaftlichen Wandel. Hierbei tat sich eine
Kluft auf zwischen alten Werten (z.B. Religion) und dem Pragmatismus der
Neuzeit.
Daher befand man sich auch in der
Kunst in einer Aufbruchstimmung. Man war auf der Suche nach neuen
Formulierungen und einem nationalen Stil, der sich von der traditionellen Kunst
löste. Die Vorbilder für eine neue Kunst sucht man im Ausland. Bis 1870 stand
Norwegen unter dem Einfluss der deutschen Ästhetik. Für die norwegischen
Künstler war es üblich in Düsseldorf zu studieren, danach ging man nach Paris,
Berlin, München und Karlsruhe. Seit 1880 war Paris das vorherrschende
künstlerische Zentrum. Die Norweger Künstler Christian Krohg und Frits Thaulow
waren bestrebt die Kunst des Impressionismus und des Naturalismus auch in
Norwegen durchzusetzen. Unter Krohg malte Munch zunächst auch im Stil des
Naturalismus und Impressionismus. Doch schon früh (um 1884) versuchte Munch den
Krohgschen Naturalismus / Impressionismus zu überwinden und bemühte sich um
eine individuelle Malweise.
1892 manifestiert sich Munchs
eigenwilliger symbolistischer Stil. Parallel zu seiner künstlerischen
Entwicklung gibt es eine antinaturalistische, antipositivistische Bewegung in
ganz Skandinavien, die für eine Kunst der Spiritualität und Introspektion
eintrat. Die Mehrheit orientiert jedoch am Naturalismus und Impressionismus.
Für die Kritiker war Munch zu radikal: In Munchs Kunst sah man eine Gefahr
sowohl für die Kunst als auch für die gesellschaftlichen Institutionen. Mehr
noch: Streng traditionalistische Psychologen und Soziologen wollten bei Munch
eine geistige, physische und moralische Entartung ausgemacht haben, die nur mit
Gewalt zu behandeln sei:
Man
zeige der Masse der Gebildeten die Geistesstörung der entarteten Künstler und
Schriftsteller und belehre sie darüber, dass die Modewerke geschriebene und
gemalte Delirien sind! – Wenn unsere Gesellschaft dann nach sorgfältiger
Prüfung und im Bewusstsein ihrer großen Verantwortung sagt: Das ist ein
Verbrecher! und von einem Werk: Das ist eine Schande für unser Volk, so sollten
das Werk und der Mensch ausgelöscht werden.
Auch in Deutschland waren die alte Denk und
Wertstrukturen im Zuge der Industrialisierung zusammengebrochen. In den Ideen
und Werken von Wagner, Nietzsche und König Ludwig II von Bayern kam der
Konflikt von Gesellschaft und Kultur zum Ausdruck. Der Kreis der Symbolisten
war allerdings auch in Deutschland sehr klein. Zu dem Zeitpunkt als Munch nach
Berlin kam, erlangten Klinger, Böcklin, Nietzsche und Wagner – alle wurden zu
Munchs Vorbildern – allmählich Anerkennung und Bewunderung. Die Künstler der
Münchener und Berliner Sezession revoltierten gegen Akademismus und den
Traditionalismus in der Kunst, wie er von Kaiser Wilhelm II vertreten wurde.
Deutschland, in dem die nordische Kunst und Literatur zu der Zeit gerade war
sehr beliebt war, schien das gelobte Land für den im eigenen Land verschmähten
Munch zu sein.
Dennoch war er auch hier zunächst ein
umstrittener Außenseiter, weil unter Wilhelm II nichttraditionelle Kunst als
politisch radikal und gefährlich eingestuft wurde. Die Affaire um seine
Ausstellung im Verein Berliner Künstler 1892 war schließlich die beste Werbung
für Munch. Dresden und München begann sich für seine Kunst zu interessieren und
seinem Erfolg stand nichts mehr im Wege. Noch zu Lebzeiten wurde er als
Vorläufer der modernen Kunst in Deutschland geehrt und zum Vorbild der
deutschen Expressionisten.
Munch selbst bezeichnete seine Kunst als
eine Kunst der Erinnerung: „Ich male nicht was ich sehe, sondern was ich sah“.
In seinen Bilder verarbeitete er immer wieder Erlebnisse aus seinem Leben. Er wollte
das wiedergeben, was er in seinem Inneren als Erinnerung an diese Erlebnisse
sah.
Durch Goldstein, mit dem Munch seit 1889
befreundet war, befasste er sich mit dem Symbolismus. Der Symbolismus wurde für
ihn die geeignete Kunstauffassung, mit der er sich vom Naturalismus und
Realismus lösen konnte: Der Künstler sollte zum Herrscher der Realität werden.
Stimmungen und Gedanken sollten über alles andere gestellt werden. Die
Wirklichkeit sollte nur als Symbol verwendet werden. Verbildlicht werden sollte
das, was sich im Inneren abspielt.
Munch stützte seine symbolistische
Auffassung hierbei dennoch auf einen naturalistischen Glauben der
Naturwissenschaft und naturwissenschaftlichen Erkenntnis:
1. Elementargesetz
der Physik: Materie wird nicht zerstört, sondern verändert nur seine Form.
(Metabolismus)
2. Philosophischer
Monismus: Das gesamte Universum ist eine Einheit von Geist und Materie
3. Glaube
an einen pantheistischen Gott als Urgrund aller Materie (Gott ist in allem)
Ein Bild sollte kein Abbild der sinnlich
wahrnehmbaren Welt sein. Ein Kunstwerk sollte Zeichen und Hieroglyphen
beinhalten, die in einem Assoziationsprozess Gedanken und Stimmungen
hervorrufen. Im Unterschied dazu steht den französischen Symbolisten ein
neoplatonisches Weltbild und Kunstverständnis zugrunde. Gemäß der Lehre der
Entsprechungen, wurden die Phänomene der materiellen Welt als Symbole
angesehen. Diese entsprechen im geistigen Bereich archetypischen Ideen. Die
Ideen und Symbole liegen hierbei im Inneren verborgen. Die Aufgabe des
Künstlers war demnach, den Kern durch das Abstreifen der Schale physischer
Materie zu finden und zutage zufördern.
Munch hielt an
Wirklichkeitsbeobachtung (= zentraler Aspekt des Naturalismus) fest, und zwar
in der Form der Beobachtung des eigenen Ichs bzw. der Wirklichkeit im eigenen
Inneren. Dadurch wurde eine eigene Wirklichkeit geschaffen, eine Welt der
Munchschen Symbole. Seine symbolistische Kunst ist also sehr subjektiv geprägt.
Durch die Kunst war
es Munch möglich seine innigsten Gefühle mitzuteilen und seine Entfremdung von
Individuen zu durchbrechen.
Da
sein Leben stark im Zusammenhang mit seiner symbolistischen Kunst steht, werden
die ausgesuchten Werke Munchs an geeigneter Stelle an wichtigen Punkte in seiner
Biographie dargestellt. Die Beschreibung der Bilder erfolgt stichpunktartig.
1) Abend (Inger am Strand), 1998
-
entstanden
nach der Affaire mit Milly Thaulow
-
Munchs Zustand
der Melancholie spiegelt sich in dem Bild wieder
-
das Bild zeigt
die Schwester Inga, die nachdenklich vor einer abendliche Landschaft sitzt
-
mit der Farbe
Blau wird Abenddämmerung, Trauer und Melancholie assoziiert
-
extremer
Größenkontrast zwischen Inger und den Figuren im Hintergrund
-
Bildmittel
bewirken Isolierung der monumentalen Figur Ingers als Symbol unnahbarer
Einsamkeit
-
Munch hat
seine eigene Befindlichkeit auf Inger übertragen
-
Bild stellt
psychischen Zustand dar
-
subjektiver
Gefühlsmoment in der landschaftlichen Darstellung
-
Versuch Munchs
den Naturalismus durch die Schaffung eines ichbezogenen „Impressionismus“ (in
Norwegen gebraucht i. S. einer stilistisch radikalen auf dem Prinzip der
Pleinairmalerei basierenden Spielart des Naturalismus)
-
steht in
der Tradition der Subjektivität der Romantik
EXKURS: In der Romantik hatte man die
Vorstellung von einer alles erhaltenden Schöpfungsmacht. Diese Macht ist Gott,
der in allem wirkt. (Pantheismus) Daraus erklärt sich auch die Ergriffenheit
des romantisch fühlenden Menschen vor der Natur und das Bewusstsein seiner
grenzenlosen Verlorenheit darin. Diese Haltung tritt besonders in der
Landschaftsmalerei hervor, die Landschaft wird zum Symbol der Stimmungen des
Menschen.
-
das Bild
kann als ein Vorbote von Munchs symbolistischen Landschaften bezeichnet werden
-
Beispiel
für den Themenkreis Landschaft/Mensch mit dem sich Munch in den folgenden
Jahren auseinandersetzt
2) Nacht in St.
Cloud, 1890
-
in einem
kargen Interieur sitzt eine einsame sinnende Figur auf einem Sofa und blickt
durch das Fenster hinaus auf die Seine
-
bläuliches
Licht bildet die einzige Beleuchtung
-
ein
Widerschein der Lichter draußen projiziert die Form des Fensters mit dem
Fensterkreuz auf den kahlen Fußboden
-
Blautöne
beherrschen das Bild
-
„Nacht“
markiert einen Bruch in der künstlerischen Vergangenheit Munchs kurz nach dem
Tod seines Vaters
-
durch die
dominierenden Blautöne und die violettgrünen Schattierungen wird eine
schwermütige , depressive Stimmung und Melancholie vermittelt
-
das Bild
symbolisiert den Seelenzustand der Trauer und Melancholie und war zugleich eine
Manifest der allmählichen Löslösung von einer am Äußerlichen orientierten
Kunst, in dem Bild dient die Wirklichkeit (den die Szenerie wirkt realistisch)
als Hilfsmittel, um der subjektiven Veranlagung in klaren, wirkungsvollen
Symbolen Ausdruck zu verleihen
-
drei Aspekte einer symbolistischen Darstellung finden sich in dem Bild wieder:
1.
„Nacht“ zeigt
eine Genreszene, die eine sitzende Figur in einem verdunkelten Zimmer zeigt
(Jeder Gegenstand ist ein Symbol seiner selbst)
2.
„Nacht“ ist
eine symbolische Darstellung des Todes, speziell des Todes seines Vaters, sowie
der Melancholie angesichts Munchs eigener Schwermut im Winter 1890 (Jeder
Gegenstand ist ein Symbol im Sinne seiner Assoziationen, die es hervorruft)
3.
„Nacht
symbolisiert Munchs eigenes künstlerisches Schaffen: „Ich male nicht was ich
sehe , sondern was ich sah.“ (selbsterlebte Situationen, an die er sich
erinnert) (Jeder Gegenstand ist ein Symbol allgemeiner Vorstellungen)
3) Melancholie (Abend,
Eifersucht, Das gelbe Boot), 1891-1893
-
dokumentiert
Munchs Beschäftigung mit dem Dreiecksverhältnis Oda, Christian Krohg und Jappe
Nilssen
-
Vorskizzen:
„Jappe am Strand“ / „Abend“
-
die Person im
Vordergrund ist Jappe in nachdenklicher Pose
-
das Paar im
Hintergrund auf dem Steg sind vermutlich Oda und Krohg (und ein Ruderer)
-
das
Dreiecksverhältnis diente als Inspiration, das Motiv des am Ufer Sitzenden
löste sich jedoch bald vom konkreten Ereignis
-
das Bild
spiegelt einen menschlichen Wesenszug, eine grundlegende menschliche
Gefühlsregung (Eifersucht/ Melancholie) wieder
-
auf dem
Gemälde wendet sich die Person im Vordergrund dem Betrachter zu, scheint aus
dem Bild herauszutreten, lediglich der Kopf ist zu sehen, der auf die linke
Hand gestützt wird
-
das
Größenverhältnis Vordergrundfigur und Personen auf dem Steg ist ähnlich wie bei
„Inger am Strand“, die Isolation der Person kommt zum Ausdruck
-
extreme
Vereinfachung, flächenhafte Konzeption der Formen (weist auf mögliche Anlehnung
an Gauguin hin)
-
Ufer mit Steg,
Boot und Figuren könnten auch eine mentale Projektion oder die Gedanken des
eifersüchtigen Mannes im Vordergrund darstellen
-
so wird eine
Spannung zwischen Illusion und Wirklichkeit erzeugt, was eine Parallele ist zu
den Spannungen der Eifersucht (der Eifersüchtige unterscheidet auch nicht
zwischen „Dichtung und Wahrheit“)
-
das Bild
beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Mann und Frau, einem neuen
Problembereich, mit dem sich der Symbolismus beschäftigte
4) Der Sturm, 1893
-
entstanden
nach dem Erlebnis eines heftigen Sturms in Norwegen
-
Verbildlichung
eines bestimmten Vorganges, um das Drohende und Beklemmende eines mächtigen
Sturmes zu schildern
-
die Szene
spielt am Meer; aus einem festlich erleuchteten Haus treten Frauengestalten
hervor; eine weißgekleidete Frau, ist vorausgeeilt
-
Vorgang ist
ins Dunkel der Nacht gehüllt
-
Ereignis und
Identität der Personen bleiben unklar, man kann nut Vermutungen anstellen:
mögliche Assoziationen zu Braut, Hochzeitsfest, Bräutigam, der dem Sturm zum
Opfer gefallen ist
-
der Sturm und
seine gewaltige Natursprache ist das Wesentliche
-
das Naturereignis
Sturm steht als Symbol für ein menschliches Gefühl (Angst vor etwas
Unbestimmtem, Gefühl der inneren Aufruhr – Gefühle, die Munch damals vermutlich
hatte)
-
die
geheimnisvollen Gestalten dienen als erläuternde Elemente
-
Parallelen zu
Böcklins „Mörder, von Furien verfolgt“
-
Böcklin, der
zum Ausdruck bringen wollte, wie der Sturm auf seine innersten Gefühle gewirkt
hat, fügt den Mörder und die mythologischen Gestalten als erläuternde Elemente
und symbolische Formen in die Landschaft ein
5) Der Schrei, 1893
-
geht zurück
auf das Jahr 1891, als Munch unter Depressionen litt und von Halluzinationen
geplagt wurde (außerdem: Erlebnis der skurrilen Oda-Krohg-Jappe-Beziehung /
erneuter Liebeskummer wegen Milly)
-
in dieser
Situation hatte er folgendes Erlebnis, dass er in mehreren Bildern versuchte
darzustellen und das ihm letztendlich als Vision für „Der Schrei“ dienen
sollte:
Ich
ging mit zwei Freunden die Straße hinunter. Die Sonne ging unter. Der Himmel
verwandelte sich in ein blutiges Rot. Und ich fühlte eine Hauch von Schwermut.
Ich blieb stehen, lehnte mich, todmüde, an das Geländer. Über dem blauschwarzen
Fjord und der Stadt hingen Blut und Zungen aus Feuer. Meine Freunde gingen
weiter. ich blieb, bebend vor Angst, zurück. Und ich fühlte ein großes,
endloses Geschrei, das durch die Nacht hallte.
-
in der Mitte
und im Vordergrund steht eine schmale Figur mit einem vor Furcht verzerrten
grünweißem Gesicht, einem weit, wie zu einem Schrei geöffneten Mund und
schreckstarren weitaufgerissenen Augen
-
die Hände sind
verkrampft an das Gesicht gepresst als wollte es sich die Ohren zuhalten
-
der Kopf der
Person gleicht einem Totenkopf, hat weder Haare noch Augenbrauen
-
die Diagonale
des Geländers und der Straße führt von hinten links nach vorne rechts aus dem
Bild heraus und bewirkt eine extreme Tiefenwirkung
-
am
spitzzulaufenden Ende der Straße stehen schemenhaft zwei abgewandte Personen,
die „Freunde“ Munchs, sie wirken starr und im Gegensatz zu der aufgeregten sich
windenden Figur im Vordergrund ruhig
-
der Himmel ist
grellrot und gelb, Figur und Landschaft haben eine mit braunen Streifen
durchsetzte blaugrüne Tönung, die mit rasch aufgesetzten Striche in Pastell. Öl
und Gouache wiedergegeben sind
-
es gibt keine
differenzierten Farbübergänge, die Farben setzen sich flächig voneinander ab,
Person und Formen sind stark vereinfacht
-
die sich
krümmenden wogenden Steifen am Himmel und in der Landschaft wiederholen sich in
der Figur, es scheint als würden sich die Schallwellen des Schreis in die
Landschaft übergehen und einfügen
-
Person und
Landschaft bilden daher im monistischen Sinn eine Einheit
-
das Bild ist
der stärkste Ausdruck und das Symbol für Munchs Lebensangst
-
ist zum
bleibenden Symbol für die angsterfüllte Realität des Menschen in der
Zivilisation geworden
6)
Angst, 1994
-
ähnliche
Motivik wie „Der Schrei“
-
geht zurück
auf ein Bild mit dem Titel „Abend auf der Karl Johans Gate“, das ähnlich
aufgebaut ist
-
hier wird
keine Person, die ein subjektives Angstgefühl erlebt, dargestellt, sondern
Personen, die diese Angst auslösen
-
dem Betrachter
kommt ein Strom von Menschen entgegen, die ihn mit ihren starren unheimlichen
Maskengesichtern anstarren
-
geht auch auf
ein Angsterlebnis aus der Erinnerung Munchs zurück, das er in seinem Tagebuch
schildert:
Alle – die Vorübergehenden sahen so eigenartig und seltsam aus,
und er spürte, dass sie ihn so ansahen – ihn anstarrten – alle diese Gesichter
– bleich im Abendlicht – er wollte einen Gedanken festhalten, aber es gelang
ihm nicht (...) und dann versuchte er seinen Blick auf ein
hoch obenliegendes Fenster zu heften – und wieder kamen ihm die Vorübergehenden
dazwischen – er zitterte am ganzen Leib, der Schweiß brach ihm aus.
7)
Friedrich Nietzsche, 1906
-
dieses Bild
ist in einer Zeit entstanden als Munch unter einer Nervenkrise, begleitet von
Alkoholismus, litt
-
Heller: Da
Nietzsche ein Rollenvorbild für Munch darstellte, stellt das Bildnis
möglicherweise ein idealisiertes Selbstportrait oder eine Verbildlichung von
Munchs Traum einer wiedergewonnenen Gesundheit dar.
-
die
Komposition der Figur, die an einem Geländer lehnend über eine Tallandschaft
hinausblickt, stützt sich auf „Der Schrei“
-
mit der von
links nach rechts stürzenden Diagonale bildet „Der Schrei“ als eine Metapher
der Angst eine Antithese zu der Stabilität und Ruhe, die von dem Nietzsche-Bildnis
ausgeht
-
Nietzsche wird
hier als Dichter des Zarathustra dargestellt inmitten der Berge seiner Höhle
-
über den
Bergen steigt eine strahlende Sonne auf, der Himmel ist goldgelb, die
Landschaft ist flächig
-
bezieht sich
auf eine Stelle in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, in der er sagt, dass
er im Licht steht, aber wünscht es wäre dunkel
8) Dagny Juell Przybyszewska, 1893
(lebensgroß)
-
einzige Frau,
der Einlass in die Männerclique de „Schwarzen Ferkel“ gewährt wurde, und die
letztendlich die Runde „sprengte“
-
der
Schriftsteller Adolf Paul, einer der Mitglieder, schrieb ihr katzen- und
vampirartige Eigenschaften zu
-
wurde für
Munch zur mütterlichen Muse, die ihn beruhigte und künstlerisch inspirierte
-
die blaue
Kleidung, die blaue Atmosphäre symbolisiert den Tod und die Kunst (vgl.
„Nacht“)
-
Dagny ist
frontal mit nach hinten verschränkten Armen dargestellt
-
ihr lächelndes
Gesicht und ihr Haar leuchten hervor
-
den Betrachter
anblickend scheint sie ihn dazu aufzufordern in ihre Welt einzutreten
-
um dem Kopf
schwebt eine Art Gloriole als Sinnbild für die Anziehungskraft, die sie
ausströmte
-
Dagny wird als
moderne Frau dargestellt
-
das Portrait
ist ein Sinnbild künstlerischer Inspiration für Munch, der das Bild bis zu
seinem Tode behielt
9)
Selbstportrait mit Knochen, 1895 (Lithographie)
-
ein weiteres
Bildnis, das Ausdruck für das Selbstverständnis des Künstlers ist
-
das blasse
Gesicht des Künstlers tritt geisterhaft aus einer tiefen, samtigschwarzen
Fläche hervor als wäre es eine körperlose Vision
-
der hohe weiße
Kragen erinnert an eine Priestertracht (möglicherweise Anspielung auf Munchs
Vorfahren oder seinen Namen (Munch = norwegisch Mönch))
-
das Bild ist
ein Bekenntnis zu der symbolistischen Losung:
Künstler, Du bist ein Priester. Die Kunst ist ein großes
Mysterium. Wenn Deine Bemühungen ein Meisterwerk zeitigen, so ist es als gleite
ein Strahl des Göttliche vom Himmel zu deinem Altar herab.
-
Lithographie
ist Munchs endgültige Selbstdarstellung als symbolistischer Künstler
-
diese
Intention wird noch dadurch verdeutlicht, dass er sich hinter der Schranke
eines Skelettarms platzierte und indem er seinen Namen und die Jahreszahl
gleich einer Denkmalinschrift anbrachte
10)
Tod im Krankenzimmer (Ein Tod), 1893
-
das Motiv des
Todes wird mit nie dagewesener Direktheit zu Ausdruck gebracht
-
in dem kahlen
Zimmer sind Munch und seine Familie bei dem Tod seiner Schwester Sophie zu
sehen
-
Sophie sitzt
am weitesten entfernt auf einem Stuhl abgewandt von dem Betrachter
-
die
Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die anderen Personen
-
der Tod wird
als Abwesenheit dargestellt, als Verlust für die Überlebenden
-
Eindruck der
Totenstille durch einfache suggestive Farbkontraste, durch die maskenhaften
Gesichter und der bühnenartigen Komposition
-
im Vordergrund
verschmelzen Munch und seine beiden Schwestern
-
Vater und
Tante stehen am Stuhl mit der Toten
-
Bruder Andreas
wendet sich nach links ab
-
in dem Bild
treffen Augenblick und Ewigkeit zusammen (später „Augenblick des Todes“
genannt)
11) Die Stimme, 1893
-
Versuch die
Psychologie der Pubertät symbolisch wiederzugeben
-
drückt das
Erwachen der Gefühle, die Neugierde, die Sehnsucht und Furcht, die mit dem
Erwachsenwerden verbunden ist, aus
-
der Betrachter
begegnet einer jungen Frau im weißen Kleid (allg. Symbol für die Unschuld) in
einer Landschaft
-
sie bietet ihren
Körper dem Betrachter lockend und zugleich verhalten dar, die Arme abwartend
hinter dem Rücken verschränkt
-
hinter ihr
sieht man zwischen den Bäumen den Strand und das blaue Meer, in dem sich der
Mond als langer gelber Streifen, als phallusartige Säule wiederspiegelt
-
die Formen
sind vereinfacht, die Baumstämme ähneln Telegrafenmasten, links auf dem Meer
sieht man Boote
-
es wird ein
Stimmung spannungsvoller Erwartung vermittelt
-
die Frau
überlässt sich der Stimmung in der Natur, in der sie sich farblich eingepasst,
ihr Gesicht liegt in Schatten
-
in den
Ruderbooten, in denen sich Männer und bunt gekleidete Frauen vergnügen, ist das
sehnsüchtige Verlangen, das die Frau ihrem Gegenüber vermittelt, bereits
eingelöst, es könnte auch eine Projektion ihrer Gedanken sein
13) Auge in Auge,
1894
-
zeigt eine
Begegnung zwischen Mann und Frau in einer Landschaft, die in mystisch grünes
Licht getaucht ist
-
Mann und Frau
stehen sich stumm gegenüber
-
sie sehen
einander in die Augen, wie um das Geheimnis ihrer gegenseitigen Anziehung zu
ergründen, beide haben riesige höhlenartige Augen, die Einsicht in das innere
des anderen nehmen wollen
-
die Strähnen
der roten Frauenhaare winden sich zum Mann, um ihn an sich zu binden
-
der in der
Mitte stehende Baum ersetzt die in anderen Bildern dargestellte Lichtsäule als
Phallussymbol, welches die Erotik der Begegnung ausdrücken soll
-
der Baum
trennt Mann und Frau, weist den Mann in die eine, die Frau in die andere
Bildhälfte
-
die Frau ist
farblich in die Landschaft eingepasst, der Mann mit seinem bleichen Gesicht
wirkt wie ein Fremdkörper
-
die Frau
scheint für Munch ein unergründliches Wesen zu sein, so unergründlich und so
unberechenbar wie die Natur
-
das Haus kann
als Metapher für das Zuhausesein in der Welt der Gefühle und der Natur gedeutet
werden
-
diese Welt
wurde im rollenspezifischen Sinne der Frau zugeordnet
-
der Mann ist
hier ein Fremder, er sieht schon etwas leidend aus, das zukünftige Leid des
Mannes wird durch die hinter ihm emporwachsende Blutblume symbolisiert
12) Pubertät, 1893
-
zeigt ein
scheues, nacktes, junges Mädchen, das auf ihrem Bett sitzt
-
Körper der
Heranwachsenden ist knochig dargestellt,
-
mit ihren
allzu langen, scheu und befangen gekreuzten Armen und weitaufgerissenen Augen
werden jugendliche Ängste einer Pubertierenden zum Ausdruck gebracht
-
Stimmung der
Angst wird durch dem großen phallischen Schatten an der Wand verstärkt
14) Madonna,
1895 (Lithographie)
-
Aufgreifen der
Thematik Marias Empfängnis
-
zeigt eine
nackt Frau, die von einer Art flüssiger, verschwommener Aura umgeben ist, die
Assoziationen mit dem Mutterleib als Urform des Eingeschlossenseins weckt
-
stellt die
Frau in einem Moment der sexuellen Ekstase dar, aus der Sicht des Geliebten,
der bei der Vereinigung ihrer Körper auf sie herabsieht, der Augenblick der
Empfängnis wird dargestellt
-
die frontale
Pose schließt den Betrachter mit ein
-
auf der
Lithographie ist die Frau von Spermien auf dem Bildrand umgeben und in der
linken Ecke sitzt ein Embryo, dadurch wird der Aspekt des Lebenskreislaufes
symbolisiert
-
da der Geschlechtsakt
dem Zweck dient neues Leben zu zeugen, wird der Geschlechtsakt zu etwas
Heiligem
-
da die Frau
für den Fortbestand der Generationen sorgt, ist sie mit Unsterblichkeit und
Leben und andererseits mit dem Tod verbunden, dieser Lebenskreislauf bzw. Metabolismus
soll in dem Bild zum Ausdruck kommen
-
das Bild
verdeutlicht Munchs Verhältnis zu den Frauen
-
die Frau wirkt
verführerisch, stellt für Munch aber auch eine Bedrohung dar, was sich an dem
Embryo in der unteren Ecke zeigt, der wie „ein kleiner anrührender Homunkulus
mit großen Augen ängstlich flehend zu seiner Göttin aufblickt“
15) Metabolismus,
1899
-
zeigt eine
nackte Frau und einen nackten Mann zu beiden Seiten eines Baumes, die auf den
ersten Blick an Adam und Eva erinnern
-
der Mann hat
einen melancholischen Blick, seine Armhaltung erinnert an die der Madonna
-
in der Rinde
des Baumes erscheint schemenhaft die embryonenhafte Gestalt eines Kindes, dem
die Frau ihre Hand entgegenstreckt
-
moderne
Version des Mythos von der Geburt des Fruchtbarkeitsgottes Adonis
-
im unteren
Rahmenfeld wird der Baum mit seinen Wurzeln fortgesetzt, wo die Wurzeln im Tod
und in der Verwesung, dargestellt an einem Menschen und Tierschädel, Nahrung
finden
-
Leben und Tod
bildeten so eine ununterbrochene Kette – den Metabolismus
-
Mann und Frau
sind ein Teil des Lebenskreislaufes, als gegenwärtiger Adam und als
gegenwärtige Eva sind sie wie jedes neue Leben aus der verstorbenen Generation
hervorgegangen
-
auf dem oberen
Rahmenfeld ist eine Silhouette des neuen Jerusalem dargestellt als Vision eines
himmlischen Zustandes nach dem Erdenleben mit all seinen Qualen, als das was
aus dem Alten entsteht
Das Gemälde ist das Bild des Lebens und des Todes, des
Waldes, der seine Nahrung aus dem Toten aufsaugt, und aus der Stadt, die hinter
den Baumwipfeln wächst. Es ist die Darstellung der fruchtbaren Gewalten des
Lebens. (Munch)
16) Das Weib
(Sphinx), 1893-1895 (Radierung)
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dargestellt
sind drei Frauen, die als Typen immer wieder in Munchs Werken auftauchen
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links die
unschuldige Frau im weißen Kleid, die sich sehnsüchtig dem Meer zuwendet (Bsp.
Die Stimme)
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in der Mitte
die lustvolle Frau, die sich nackt dem Betrachter darbietet (Bsp. Madonna)
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rechts die
schwarzgekleidete trauernde Frau
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Munch: Die
Frau in ihrer Verschiedenheit ist für den Mann ein Mysterium, die Frau
gleichzeitig Heilige, Hure und unglücklich Ergebene
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egal in
welchem Stadium, in Munchs Bilder haben die Männer haben die Kontrolle über
diese Frauen verloren
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Gemäldeversion:
rechts neben dem Baum steht ein melancholischer leidender Mann mit der roten
Blume des Schmerzes als Sinnbild seines gebrochenen Herzens
17) Rot und Weiß,
1894
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hier ist die
sinnlich lockende Frau in rotem Kleid dargestellt, die schwarze Frau fehlt
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die Aufteilung
der Frau in Jungfrau und Hure, in gute und schlechte Frauen war im 19.
Jahrhundert durchaus gängig
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die
Symbolisten setzten in ihrem Bildern eine ganze Palette von Frauengestalten
ein, die der einen oder anderen Kategorie zugeordnet wurden (vgl. Stucks
Evagestalt in „Die Sünde“)
18) Der Kuss, 1897
(Holzschnitt)
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zeigt Mann und
Frau in inniger Umarmung, dessen Gesichter zu einer Einheit verschmelzen
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zeigt die
Einheit von Mann und Frau im Augenblick gegenseitiger Hingabe
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die
Verschmelzung ist zugleich eine Auflösung der Identität von Mann und Frau
19) Vampir, 1893/94
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zeigt ein sich
umarmendes Paar, die roten langen Haare der Frau umfließen den Mann, die Frau
küsst den Mann im Nacken
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die Frau wirkt
zärtlich und beschützend und bedrohlich zugleich
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zärtlich,
beschützend und fürsorglich, weil sie den Mann tröstend an sich drückt,
bedrohlich, weil ihr Haar den Mann wie ein Netz umfängt
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diese
Ambivalenz wird verstärkt durch den dunklen Schatten an der Wand, der das Paar
einerseits formal zusammenfasst, andererseits als dunkle Bedrohung hinter ihnen
steht
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der Typus der
rothaarigen Frau symbolisiert in der Literatur und der bildenden Kunst des 19.
Jahrhunderts die gefährliche und unheilbringende Frau, die als Vamp den Mann
kaltblütig vernichtet (um 1890 war die Vampirsage sehr populär)
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daher saugt
die Frau nach einer Deutung Przybyszewskis dem Mann wie ein Vampir das Blut
aus, woraus sich auch später der Titel ergab (ursprünglich: Liebe und Schmerz)
20) Eifersucht, 1895
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greift das
alte Motiv des einsamen Jappe am Strand wieder auf
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im Vordergrund
rechts blickt den Betrachter ein eifersüchtiger, bleichgesichtiger,
ernstblickender Mann mit der Physiognomie Przybyszewskis auf
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im Hintergrund
erscheint ein Projektion seiner Gedanken: ein Mann mit einer rotgekleideten
Frau, die wie Eva im Paradies eine rote Frucht vom Baum pflückt
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links im Bild
taucht wieder die rote Blume des Schmerzes auf
21) Asche, 1895
(Lithographie)
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Mann und Frau
in einer dunklen Landschaft mit Bäumen
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die Frau links
fasst sich mit beiden Händen an den Kopf, steht frontal zum Betrachter und ist
sehr präsent
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der Mann sitzt
rechts zusammengekauert am Bildrand, schlägt sich die Hände über dem Kopf
zusammen, scheint verzweifelt und traurig
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gemäß ihrer
Haltung steht die Frau über dem Mann
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die Situation
gibt die Stimmung einer soeben beendeten Affaire wieder, aus der die Frau
siegreich hervorgeht und in der der Mann die Kontrolle verloren hat
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Gemälde: Typus
der rothaarigen Frau, die Haare winden sich fesselnd zum Mann, sie trägt ein
weißes Kleid unter dem ein rotes hervorschaut (Vereinigung von „Heiliger“ und
„Hure“)
22) Marats Tod I, 1907
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Bezug zu Jean
Paul Marat (frz. Publizist, Arzt und Revolutionärer), der 1793 von Charlotte de
Corday erdolcht wurde
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mit dem Sujet
verarbeitet Munch seine turbulente Beziehung zu Tulla Larssen, von der Munch
sich verfolgt und bedroht gefühlt hat
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geht zurück
auf eine Vorstudie mit Namen „Stilleben: Die Mörderin“, in der das Innere
seiner Hütte, in der er selbst blutend auf dem Bett liegt, Tulla in der Nähe
steht und im Vordergrund eine Tisch mit einem Stilleben, zu sehen ist
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auf dem Gemälde
sieht man eine nackte rothaarige Frau, die dem Betrachter frontal zugewandt,
rechts neben einem Bett steht, auf dessen blutverschmierten Laken ein toter
nackter Mann liegt, ihre Beine sind blutverschmiert
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im Vordergrund
steht ein Tisch dessen Tischplatte von der Draufsicht zu sehen ist und auf dem
eine Obstschale steht, hinter der Frau sieht man einen dunklen Schatten an der
Wand, was eine bedrohliche Stimmung hervorruft
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Motive von
Asche und Vampir tauchen in diesem Bild auf: die roten Haare und der Schatten
für die weibliche Bedrohung, die Bildkomposition ähnelt der in „Asche“, die
siegreich frontal stehende Frau und der vernichtete Mann
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eine
Harmonisierung der Geschlechter findet in der Bildwelt Munchs nicht statt
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Munchs Männer
bleiben im Spannungsfeld von Sehnsucht nach Nähe und Angst vor Nähe gefangen
23) Tanz des Lebens,
1899
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behandelt
Munchs Verhältnis zum anderen Geschlecht und seine Rolle als Künstler
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die drei
Frauengestalten Munchs tauchen auf, im Zentrum tanzt Munch mit einer
rothaarigen Frau in einem roten langen Kleid, die Frau soll seine erste
Geliebte Milly Thaulow darstellen, er ist ihrer erotischen Ausstrahlung ganz
und gar ausgesetzt: sie blicken sich starr in die Augen, ihre Haare umfangen
ihn, das Kleid umspült wie eine Welle seine Füße, durch eine Konturlinie wird
das Paar zusammengeschlossen
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das Paar wirkt
jedoch im Gegensatz zu den anderen ausgelassen tanzenden Paaren steif und
erstarrt
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der sich
gierig zu seiner Partnerin herunterbeugende Mann rechts (Bohemie Gunnar
Heiberg) wird zum Gegenbild des zurückhaltenden Munch
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die Frauen
rechts und links tragen die Gesichtszüge Tulla Larssens
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links im
weißen Kleid streckt sie die Hand nach den emporwachsenden Blumen aus, rechts
im schwarzen Kleid wendet sie sich mit enttäuscht verhärmten Gesicht dem
tanzenden Paar zu
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Motive von
„Kuß“ und „Auge in Auge“
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auch die
Mondsäule als Triebsymbol taucht auf: Mann und Frau können sich nach Munch nur
durch den Trieb verbinden, doch eine Harmonie ist nicht möglich, lediglich im
Leiden können Mann und Frau zu Partner werden
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außerdem will
Munch mit seiner krampfhaften, gezwungenen Tanzhaltung als Kontrast zu den
anderen Tanzpaaren seine Außenseiterposition als Künstler deutlich machen
24) Golgatha, 1907
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soll Munchs
Außenseiterposition als Künstler, die Verachtung die ihm entgegengebracht
wurde, verdeutlichen
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Aufgreifen des
biblischen Motivs des Leidenswegs Christi als Analogie zum Leidensweg des
Künstlers
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die nackte
Gestalt am Kreuz und im Vordergrund tragen Munchs Züge
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zur Schau
gestellt in seiner Nacktheit wird der Künstler zum Objekt, dem Verehrung und
Hohn der Masse gelten
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in der Menge
wird er mit der Masse eins
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eine dämonisch
wirkende weibliche Gestalt mit verzerrtem Gesicht legt ihre Hand auf seine
Schultern und wird zum Kreuz auf dieser Welt
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die roten und
grünen Gesichter im Vordergrund wirken maskenhaft
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Arne Eggum: Edvard Munch. Gemälde, Zeichnungen und
Studien. Klett-Cotta 1986
·
Alf Boe: Edvard
Munch. Recklinghausen 1989
·
Munch und Deutschland. Katalog zur Ausstellung. Stuttgart 1994
·
Reinhold Heller:
Edvard Munch. Leben und Werk. Prestel-Verlag 1993